Weinzauber entlang der Mosel -
Überraschungen und Wein-Philosophie

In der Nacht hat die „MS Alena“ Königswinter verlassen. Kaum bemerkt von den Flusskreuzfahrenden, von denen mancher – ob der langen Anreise – schon früh den Schlaf gesucht hat. Aber auch kaum bemerkt von denen, die wach geblieben sind: Dass die Maschinen das Schiff vorantreiben – nur unterschwellig zu spüren, durch ein leicht summendes Gefühl im eigenen Körper. Ganz gleichmäßig. 

Das Geräusch verdrängten Rhein-Wassers ist schon deutlicher zu vernehmen: Es klingt wie im Schwimmbad, wenn mit eigener Muskelkraft Wasser verdrängt wird. Hier an Bord wirkt dieses Plättschern, in Höhe der Wasserlinie deutlich wahrnehmbarer als auf den höheren Decks, beruhigend. Selbst am frühen Morgen. So beruhigend, dass geübte Frühaufsteher nach dem Wachwerden noch einmal in den Schlaf zurück dämmern. Untermalt von den Geräuschen begegnender Lastschiffe. Im Vergleich zu deren kraftvoll schwer tönenden Schiffsdieseln klingt die MS Alena nach nicht mehr als Flügelschlagen.

Foto: Mandy Hannemann

Noch einmal umdrehen, einnicken. Warum auch nicht … Bis Braubach mit seiner berühmten Marksburg, unserer nächsten Station beim „Weinzauber entlang der Mosel“, muss die Alena noch einige Rhein-Kilometer hinter sich lassen. Das Anlegen wird später serviert, quasi als Punktlandung zum Frühstück.

Frühstücksüberraschung für Volksstimme-Reisende

Kurz vor halb sieben dann auf dem Sonnendeck: Sonne gibt es noch längst nicht, doch die Frühaufsteher sind unterwegs – bei leichtem Niesel unter einem wolkenverhangenen Himmel. Eine Tasse heißen Kaffee in der Hand. Die Luft: angenehm erfrischend. Die Stille: fast ungewohnt.

Auf dem Saturndeck zeigt sich, wer die Nacht gut verbracht hat – und auch, wer weniger Schlaf bekommen hat. Familie Bendicks sitzt schon gemütlich beim Frühstück und grüßt mit einem Lächeln. An den Fenstern zieht Schloss Stolzenfels vorbei.

Um 7.53 Uhr ist es soweit: Die MS Alena hat Braubach im UNESCO-Weltkulturerbe Mittelrhein-Tal erreicht. Hätte Kreuzfahrtleiter Sammy El-Gindi – für alle nur „Sammy“ – über die Bord-Lautsprecher nicht darauf hingewiesen, das Anlegen in diesem Moment wäre wohl unbemerkt geblieben. Seit Köln haben die Volksstimme-Reisenden mit der Alena nun 111 Flusskilometer absolviert. Trotz flachem Wasserstand, der beim Blick aus dem Fenster des Bord-Restaurants deutlicher kaum werden kann.

Zeit, in den Tag zu starten. Vorher aber: War da nicht etwas mit einer Überraschung, die unbemerkt von den Volksstimme-Reisenden organisiert werden wollte? Ja, es hat tatsächlich geklappt. Hotelmanager Michal Kosinar legt dem Volksstimme-Urlauber Peter Curth einen riesigen Blumenstrauß in die Hände – 25 langstielige rote Rosen. Peter Curth will damit seine Frau Ute überraschen. Immerhin feiern die beiden Samswegener am heutigen 30. August ihren 50. Hochzeitstag. Und ja, Elke Curth hat von den Plänen ihres Mannes nichts geahnt.

Beim Frühstück mit anderen Volksstimme-Kreuzfahrern noch ins Gespräch vertieft, ist sie völlig perplex, als ihr Mann mit den roten Rosen neben ihr steht. „Herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag!“ Herzlichen Glückwunsch auch für die gelungene Überraschung, und herzlichen Dank an die Crew der Alena, die die Blumen extra in Lahnstein bestellt und nach Braubach hat bringen lassen, und an die Organisatoren dieses kleinen Höhepunktes.

 

Solche kleinen Glücksmomente miterleben zu können, das macht Flusskreuzfahrten besonders. Wie Monika Wilke schon am ersten Tag sagte: die Menschen rücken viel näher zusammen. So kann es weitergehen mit dem Abenteuer Flusskreuzfahrt. Vorher allerdings ist es Zeit, sich die Beine zu vertreten und Braubach und seine Marksburg kennen zu lernen …

Vom Frühstückstisch aus betrachtet – zumindest von jenen, die auf der „richtigen Seite“ des Schiffes Platz genommen haben -, hängt die Marksburg hoch oben steil am Berg. Steil? Wer nicht gut zu Fuß ist, lässt die Burg dann besser doch links liegen. Der Weg ist nicht ganz einfach zu bewältigen, haben die Reisenden an diesem Morgen Kreuzfahrtchef Sammys vorsorglichen Hinweis im Ohr. Na gut, dann eben einfach den Ort erkunden.

Der Elefant auf dem Flusskreuzer und Weihnachten im Sommer

Nur noch schnell Tasche und Jacke schnappen und … beinahe wäre es ein „los“ geworden. Säße da nicht mitten auf dem schwimmenden Kabinenbett ein Elefant. Blinzeln, nochmal hinschauen. Ja, ein Elefant. Es ist eines dieser kleinen Details, mit denen die Crew der Alena immer wieder zu überraschen vermag. Der Elefant entpuppt sich letztlich als Handtuch-Origami, das in so mancher Kabine kurzerhand als Fotomodell engagiert und per WhatsApp an Freunde und Verwandte geschickt wird, wie sich später in den Gesprächen am Mittagstisch herausstellen wird. Ein ganz kleines bisschen Neid der anderen, das muss im Urlaub schon sein …

Nun aber wirklich: Los! Naja, beinahe. Wer nämlich zur Marksburg aufbricht, dem zeigt Hotelmanager Michal Kosinar erst einmal die Gelbe Karte. Aber keine Sorge: Die Gäste sind nicht wegen sportlichen Fehlverhaltens angezählt – auch wenn an diesem Morgen das Sportprogramm auf Dehnen und Strecken reduziert bleibt. Die Gelbe Karte gehört einfach zur Ausstattung für den Marksburg-Ausflug. Ebenso wie der Audio-Guide mit Kopfhörern, der von dem vergnügten Rumänen mit den Worten verteilt wird: „Auf diesem Schiff feiern wir Weihnachten eben ein bisschen früher.“

Auf den Decks wird es ruhiger, hinter den Kulissen läuft der Schiffsalltag dafür auf Hochtouren. Das Ablegen in Braubach wird vorbereitet. Genauso akribisch wie das mehrgängige Mittagsmenü, dass die Reisenden aus Magdeburg und Umgebung später auch dank einer echten Sachsen-Anhalt-Connection an Bord genießen werden.

Salat, Suppe, zum Hauptgang Fisch, Fleisch oder ein Gemüse-CousCous, gekrönt von einer ordentlichen Portion Eis – und für den Veganer ein unglaublich aroma-intensives Birnensorbet – sind kaum aufgegessen, da wird es gegen 13.32 Uhr an der Mittagstafel hektisch: Kreuzfahrtleiter Sammy verweist auf die Burg Rheinfels bei St. Goar, die am Ufer vorbeitreibt. Doch nicht sie ist Auslöser des Aufbruchs. Eher der Satz: „… noch drei Kilometer, dann erreichen wir die Loreley.“ Und noch immer hat die Sagenfigur ihre Wirkung. Die Warnung vor der Sirene, die mit ihrem Gesang die Schifffahrer vom eigentlichen Weg abgebracht haben soll, verklingt in diesem Moment schon ungehört.

Auf dem Sonnendeck wird es beinahe voll. Das ist den Orten zu verdanken, die modellbauartig die Flusslandschaft begleiten, und der Sonne, die sich hinter den Wolken hervor Bahn bricht. Ein Fotomotiv folgt dem nächsten. Auf dem Sonnendeck sitzen die Kreuzfahrer quasi in der ersten Reihe entlang des Wasser-Catwalks der Burgen und Schlösser.

Am Nachmittag liegt dann Rüdesheim auf der Zunge. Ganze zwei Stunden bevor das Winzerstädtchen mit seinen rund 10.500 Einwohnern, aber 2,5 Millionen Besuchern jährlich, in Sicht ist. Der Rüdesheimer Kaffee, eine Mischung, deren Geheimnis am Abend bei einem Ausflug zu den Vorläufern digitaler Musik gelüftet wird, bringt wieder Schwung in den Kreislauf. Der Blick in die Landschaft zeigt die ersten Boten des nahenden Herbstes. Rot- und Goldtöne im Laub setzen Akzente rund um die kräftigen grünen Rebstock-Hänge. Die brauchen in den nächsten Wochen noch jeden Sonnenstrahl, damit die Rießling-Trauben den Zuckergehalt erreichen, der notwendig für einen gelungenen Jahrgang ist.

Rüdesheim, Wein und was menschliches Tun so mit sich bringt

 

Wann die Trauben geerntet werden, die immerhin 80 Prozent des 360 Hektar umfassenden drittkleinsten Rießling-Anbaugebietes ausmachen, erfahren die Kreuzfahrer am Abend bei einer Fahrt mit dem Winzer-Express. Der schleppt sich durch die Weinberge, berieselt aus der Lautsprecheranlage mit historischen Fakten – und lässt von hoch oben tief blicken. Ganz neu ist die Perspektive über Rebstöcke hinab auf Rüdesheim und Bingen auf der anderen Rheinseite nicht. Fernsehen und Internetvideos haben ganze Arbeit geleistet. Aber das Selbst-mittendrin-Sein – einmal, vielleicht auch zweimal im Leben lohnt es sich. Familie Bendicks aus Möckern, die die Tour schon kennt, ist jedenfalls wieder mit von der Partie. Irgendwie auch eine Wertschätzung für die Weinbauern, die ob der Steillage in dieser Gegend, ihre Trauben bis heute von Hand ernten.

Bei so viel Knochenarbeit liegt es fast nahe, dass an anderer Stelle auf menschliches Eingreifen verzichtet wird. Beinahe zumindest. Denn die größte private Sammlung selbstspielender Musikinstrumente tut ihren Dienst nicht, wenn nicht irgendjemand kurbelt, Stahlnadeln und Walzen mit gestanzten Löchern wechselt.

Letzteres ist sozusagen der analoge Vorläufer des digitalen Musikspeichers. Weitergegeben wird dieses Stück Musikgeschichte in „Siegfrieds Mechanischem Musikkabinett“ inzwischen an die dritte Generation. Gut so, denn was eine Musikkassette ist, weiß 2018 längst nicht mehr jeder – dabei ist der Tonträger nicht ansatzweise so lange aus der Mode wie die mechanischen Musikapparate.

Der Mensch ersetzt Dinge im Leben schneller, als er Zeit gebraucht hat, sie zu erschaffen. Diesen Gedanken im Kopf, geht es zu Fuß durch die berühmte, in manchem weinseligen Lied besungene Drosselgasse mit den Weinwirtschaften, für die Rüdesheim weithin bekannt ist. Zurück zum Schiff, zurück zur Flusskreuzfahrt – hin zur Dankbarkeit für die Entschleunigung, die zu dieser Reise zwangsläufig gehört. Der Arbeitsalltag darf zur Abwechslung mal Sendepause haben. In diesem Sinne: Gute Nacht, Rüdesheim. Gute Nacht, liebe Mitreisende auf dieser Volksstimme-Tour und vor den digitalen Mitlese-Geräten. Morgen ist auch wieder ein Tag …