Finnland schwarz-weiß - mit Teer und Schnee

Finnhütte innen
Finnhütte Finnland, Foto: Mandy Hannemann

Die zweite Nacht in Finnland ist kurz ausgefallen. Ließe ich meinen Augen ihren Willen, würden die Lider wieder zufallen. So wie sich die Sonne hinter Finnlands Wolkendecke verzogen hat.

Von Mandy Hannemann

Es schneit, mit kleinen, stechenden Eiskristallen, die vom Wind ins Gesicht getrieben werden. Bevor wir uns wieder ins Schnee-Abenteuer stürzen, werfen wir einen Blick in den ersten Skitunnel der Welt. Tunnel? Wo? Von außen ist das Gebäude als Tunnel nicht zu erkennen. Komplett bewachsen ist der Bau.

Auf der Piste drinnen geht es sportlich zu. Eine Schülergruppe schleppt Autoreifen im Laufschritt - im Skianzug und bei Temperaturen zwischen minus fünf und minus sieben Grad. Freizeit- und Profisportler nutzen den Tunnel mit seinen Hügeln und Loipen, der in der Regel ab Anfang Juni geöffnet ist. So lange, bis draußen genug Schnee für Outdoor-Training liegt - oder aber das Thermometer weniger als minus 15 Grad anzeigt. "Manchmal gehen wir hier auch mit den Huskys auf die Piste", erzählt Guide Marcus. 

Der Skitunnel in Vuokatti ist längst nicht mehr der einzige. Inzwischen gibt es davon fünf oder sechs in Finnland. Vuokattis Skitunnel ist allerdings die Schablone für alle Skitunnel dieser Welt, erzählt uns Topi Kuorelahti von Vuokatti Sport, bevor er uns auf die Skier schickt. Doch nicht hier drinnen, und nicht auf die vom gestrigen Tag.

Diese Version ist schmaler, deutlich leichter. Langlauf steht an. Okay, das sollte einfach werden. Ebene, vorgegebene Spuren - die Loipen -, Skistöcke in den Händen. Denkste. Kaum habe ich meine Skischuhe auf dem Übungsplatz in die Bindungen geklickt, rutschen die Skier vorwärts - und ich lande halb rückwärts fallend auf dem Hosenboden. Mal wieder. Den linken Skistock und den rechten Ski gleichzeitig nach vorn bewegen ... Mit der Koordination hapert es einfach. Wintersport sieht eben leichter aus als er ist. Mit Topis Tipps klappt's dann trotzdem ziemlich schnell, ziemlich gut. Bis die Loipe in die erste leicht schiefe Ebene übergeht. Bautz. Wieder die rückwärtige Vollbremsung. Skilehrer Topi ist sofort zur Stelle: "Bist du in Ordnung?" "Ja, geht schon." Wenigstens in Sachen Hinfallen habe ich inzwischen reichlich Übung. Und wieder aufzustehen fällt hier leichter als auf der Piste für Abfahrtsski.

Langlauf trainiert sich am besten direkt auf der Piste - also rein in die Loipe. Foto: Mandy Hannemann

Die nächste schiefe Ebene, die nächste Bruchlandung. Davon kassiere ich heute noch einige. Wie viele es waren? Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Doch mit jeder Bruchlandung wird der Kampfgeist ein Stück mehr angestachelt. Langlauf gefällt mir mehr und mehr. Auch wenn die Bedingungen inzwischen immer weniger geeignet sind. Die Loipen von Vuokatti werden merklich mit vom Wind getriebenen Schnee zugeweht. Winter von seiner besten Seite.  

 
Beim Mittagessen im Sportrestaurant - diesmal ist Selbstbedienung angesagt - wird philosophiert: über den Langlaufsport, über den Wettkampf mit mehr als Tausend Teilnehmern, bei dem Skilehrer Topi am Wochenende teilnehmen wird. Und natürlich über die Chancen, die Nordlichter zu sehen. Bei zwei Tagen Aufenthalt stehen die Chancen ziemlich schlecht. "Selbst bei bester Wetterlage", sagt Topi. Schade. Doch das, was Finnland in den vergangenen 24 Stunden geboten hat, macht das locker wett. 
 
Obendrein ist der Tag noch nicht vorbei. Eisfischen steht an - mit Matti Nevanperä und einer weiteren Runde als Michellin-Männchen. Hineinschlüpfen in die Overalls, die schon auf der Snow-Mobil-Safari gut warm gehalten haben. Nur das, was ich als Angel kenne, sehe ich weit und breit nicht. Lediglich ein paar kleine Plastik-Stöckchen mit einer Kurbel dran. Das ist sie, die Rute, mit der wir aus dem zugefrorenen See Fische angeln sollen.
 
Ob die Fische anbeißen? Wenn sie mich in meiner Finnland-Warmhalte-Montur sehen könnten, würden sie sich wohl eher kaputtlachen. Bevor Barsch, Hecht und Co. dazu Gelegenheit bekommen, bleibt eine wesentlichere Frage zu klären: Wie kommt der Angelhaken samt Köder-Würmchen durch die gut 40 Zentimeter dicke verschneite Eisdecke. Matti hat einen überdimensionierten Kurbel-Korkenzieher in den Händen. Ein Eisbohrer. 
 
Camping-Hocker aufstellen, Haken an der Angelschnur durch das Loch manövrieren, hinsetzen. Eine Lizenz braucht es dafür nicht. Angeln für den Eigenverbrauch ist erlaubt. Die Finnen sind quasi süchtig nach Eisfischen. So sehr, dass es Wettbewerbe im Eisfischen gibt, bei denen bis zu 5000 Menschen teilnehmen. Eisfischen ist einfach. Es besteht aus: warten. Und aus: warten. Die Mitstreiter auf dem gefrorenen See witzeln noch über imaginäre Fänge, die wir abends über dem Feuer grillen könnten. Irgendwann macht sich Schweigen breit. Was Angler wohl denken, wenn sie angeln? Ich zumindest finde darauf keine Antwort. Bin nämlich abgelenkt. Matti kniet vor seinem Loch im Eis. Es sieht aus, als würde er die Fische anbeten, doch anzubeißen. Und prompt zieht er einen Barsch aus dem Loch. Einen kleinen.
 
Am Ende fällt die Beute mager aus: Mattis Barsch und ein kleines Rotauge. Die Bedingungen sind nicht günstig. Bei Süd- oder Westwind beißen die Fische besser. Ich gehe leer aus. Was mir letztlich lieber ist. Mir ist der "Fang" eines warmen Johannisbeersaftes jetzt lieber - ganz besonders mit der Aussicht, gleich ins drei Grad kalte Wasser zu steigen. Eisbaden im Trockenanzug ist angesagt. Ob die Fleece-Klamotten darunter wirklich warm halten?
 
Als Guide wird Matti oft gefragt, was im Winter in der Wildnis am gefährlichsten ist. Die Antwort ist einfach: kaltes Wasser. Schon nach vier Minuten ist man ohne Schutz unfähig zu reagieren. Wie sich das so anfüllt, davon bekomme ich eine Ahnung. Denn es wird nass, trotz Trockenanzug. Der hat eben auch Enden. Und die Handschuhe sind nicht wasserdicht. Eisschwimmen ist eine Erfahrung. Eine, die ich um nichts missen möchte. Auch wenn ich sie vorzeitig abbreche. Es sieht so harmlos aus, doch es dauert nur Sekunden, bis die Kälte in allen Gliedern spürbar wird, sich die Muskulatur immer weniger aktivieren lässt. Bewegen im Wasser ist mit der Montur nicht einfach. Es verleiht eine Ahnung davon, wie es sich anfüllen muss, mit nassen, vollgesogenen Klamotten im kalten Wasser zu stecken. Hier im finnischen See gibt es Hilfe. An anderer Stelle kommt sie zu oft viel zu spät ...
 
Was auf keinen Fall fehlen darf: ein bisschen finnischer Alltag. Ab geht's in den Supermarkt. Der sieht nicht anders als einer zu Hause. Mal abgesehen vom allgegenwärtigen Finnisch, von dem ich auch ohne Sprachkenntnis zumindest eine paar Wortbedeutungen erahnen kann. Und zwar am Süßwarenregal. Die haben hier ganz spezielle Sachen: Schokolade mit Salmiakfüllung zum Beispiel. 
 
Zum Naschen bleibt aber keine Zeit. Es geht weiter zum Katinkulta Spa. Entspannen. Ja, wäre jetzt nicht schlecht. Allerdings verstehen die Finnen unter Spa keine Wellness-Oase mit Vogelgezwitscher, sondern ein Spaßbad. Dafür aber eines mit ausgeprägter Saunalandschaft. Die ist für Anfänger bestens geeignet. Und obendrein kinderfreundlich. Es gibt in den Schwitzräumen keine Uhren. Und keine Regeln - mit einer Ausnahme: aus hygienischen Gründen wird bei jedem Saunagang ein Papiertuch untergelegt. Ansonsten ist Saunieren hier in Finnland ein sehr soziales Ereignis. Leise Gespräche sind kein Problem, Kinder überall dabei. Sauniert wird im Badeanzug und die Macht über den Aufguss hat, wer am dichtesten am Wassereimer sitzt.
 
Ich will die Rauchsauna ausprobieren. Also Zähne zusammenbeißen, Tür auf und raus in die finnische Winterkälte. Es ist die einzige Sauna, die hier im Kantinkulta Spa im Außenbereich liegt. Rein in die dichte Wärme. Nach den zurückliegenden Aktivitäten lockert sich die Muskulatur, mir wird wieder richtig warm. Nur um die schneeweißen Handtücher, die wir uns geliehen haben, brauchen wir uns nicht sorgen. Der Rauch ist Geruch, keine Färbung. Danach geht es unter die Erlebnisdusche: kalter Wasser-Nebel erfrischt und dank einer Art Peeling-Dusche - es fühlt sich an wie Sandstrahlen, aber im sanften Modus - macht sich ein wohliges Prickeln im Körper breit.  Aufatmen. So kann der Tag zu Ende gehen. 
 
Soweit die Theorie. Die Praxis im Kurs „Abenteuer Finnland“ schickt mich noch einmal in die Kälte. Zum Schneeschuhwandern in der Dunkelheit. Marcus' wichtigster Rat: Mit Schneeschuhe niemals rückwärts gehen, sonst stellen sich die Metallkonstrukte auf und man legt sich auf die Nase. Das nehme ich mir zu Herzen - und schaffe es tatsächlich, nicht mit dem Hosenboden zu bremsen.
 
Wir stapfen den Berg hoch durch den Wald, mitten in der Dunkelheit, die so dunkel gar nicht ist. Der Schnee reflektiert die Beleuchtung der umliegenden Pisten, scheint leicht rötlich. Und ich kann den Tiefschnee hier in Finnland endlich so richtig genießen. Den Hügel steil hoch - und wieder runter. Mit Schneeschuhen ist das wirklich leicht. Ich hatte meinen Spaß bei den Aktivitäten der vergangenen 24 Stunden, doch diese Wanderung ist mein persönlicher Favorit. Bei Nacht bleibt endlich auch die Chance, von Marcus etwas über die finnische Natur zu erfahren, aus Ski-Schanzen-Nähe hinab auf die Lichter von Sotkamo zu blicken, einen zerstörten Ameisenhügel zu betrachten, der mal von einem Bären für ein Nickerchen genutzt wurde.
 
Eine kleine Finnhütte wird der krönende Abschluss dieses Tages - am Lagerfeuer mit Teerschnaps, heißem Johannisbeersaft, über dem Feuer erhitzten Bananen mit Schokolade. Die Runde der Schneeschuhwanderer versinkt in tiefem Schweigen. Finnland hat uns seinen Bann geschlagen. Und Teer ist definitiv ein Geschmack, den man probiert haben sollte.
 
Die Reise wurde ermöglicht durch unseren Partner Vianova GmbH.